Wie fühlt es sich an, wenn die Knie nicht mehr so wollen, die Hände zittern und die Welt um einen herum unscharf erscheint? Wie ist es, wenn jedes Geräusch gedämpft klingt, als wäre man unter Wasser? Diese Fragen stellten sich die Schüler:innen des Kurses 2022/2025 unserer Privaten Berufsfachschule für Pflege – und bekamen darauf eine eindrucksvolle Antwort. Im Rahmen eines Projekttages hatten sie die Möglichkeit, für einige Stunden in die Haut älterer oder in ihrer Mobilität und Wahrnehmung eingeschränkter Menschen zu schlüpfen. Mit speziellen Simulationsanzügen, Ohrstöpseln, Brillen und Gewichten, die typische Alterserscheinungen nachahmen, erlebten sie am eigenen Körper, was es bedeutet, alt zu sein.
Die Welt mit anderen Augen sehen
An verschiedenen Stationen versuchten sich die Teilnehmer:innen an alltäglichen Aufgaben: eine Jacke zuknöpfen, einen Schlüssel ins Schloss stecken oder etwas Kleines greifen. “Es war frustrierend, die Kugeln nicht greifen zu können – da merkt man erst, wie sehr ältere Menschen mit solchen Dingen kämpfen.” Dinge, die sonst nebenbei erledigt werden, wurden plötzlich zur Herausforderung. "Ich habe mich so hilflos gefühlt, als ob mein Körper mir nicht mehr richtig gehorchen würde," beschreibt eine Schülerin ihr Erlebnis mit dem Alterssimulationsanzug. Auch das eingeschränkte Hörvermögen stellte sich als große Barriere heraus. Gespräche wurden zu unverständlichem Gemurmel, Hintergrundgeräusche überlagerten wichtige Informationen. Ein Schüler war sichtlich nachdenklich:
"Jetzt verstehe ich, warum meine Oma manchmal einfach nur nickt, anstatt zu antworten. Vielleicht traut sie sich nicht zu sagen, dass sie es nicht verstanden hat."
Mehr als eine Übung – ein Perspektivwechsel
Dieses Projekt war weit mehr als eine Übung – es war eine Lektion in Empathie. Pflege bedeutet nicht nur medizinisches Wissen und handwerkliches Geschick, sondern vor allem auch Verständnis für die Menschen, die betreut werden. "Ich habe heute gelernt, geduldiger zu sein. Ich werde es mit anderen Augen sehen, wenn jemand länger für etwas braucht," resümiert eine angehende Pflegefachkraft. Gerade jetzt, wo die Schüler:innen kurz vor ihrem Examen stehen und bald den Sprung von der Schule ins Berufsleben machen, hat diese Erfahrung eine besondere Bedeutung. In der Pflege ist es essenziell, sich in die Situation der Patient:innen hineinversetzen zu können. Wer einmal selbst erlebt hat, wie es sich anfühlt, nicht mehr uneingeschränkt beweglich oder selbstständig zu sein, entwickelt eine ganz neue Sensibilität für die Bedürfnisse älterer oder kranker Menschen. Sie wissen, dass sie bald Verantwortung für Menschen übernehmen, die genau diese Herausforderungen täglich erleben. Diese Erkenntnisse nehmen sie mit – nicht nur für ihre Prüfung, sondern vor allem für ihren zukünftigen Berufsalltag.
Am Ende des Tages war eines klar: Unsere Schüler:innen gehen mit einem tieferen Verständnis für ihre zukünftigen Patient:innen aus diesem Projekt. Und vielleicht auch mit einem neuen Blick auf ihre eigenen Großeltern – mit mehr Geduld, mehr Zuhören und mehr Herz. Denn: Altwerden ist nicht leicht – aber es hilft, wenn Menschen da sind, die es verstehen.
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Michael Vogl, Marketing und Öffentlichkeitsarbeit